Aktivistmuss Ein politisches Mitmachbuch
von Frauke Seeba und Matthias Seeba-Gomille
368 Seiten © Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2023 www.kunstmann.de ISBN 978-3-95614-544-5
Damit ich es los bin, erst mal das, aus meiner Sicht, Negative. Zunächst hat das schludrig gestaltete Cover jegliches Interesse an diesem Buch verhindert. Fast jedenfalls, denn es war der Titel, welcher "anders" zu lesen und zu verstehen ist, der mich letztlich nicht mehr losgelassen hat. Wie doch der erste Blick täuschen kann.
Leider geht das visuelle Grauen beim Aufschlagen des gewichtigen Taschenbuchs erst so richtig los. Illustrationen, Layout und Typografie lehren das Fürchten. Das gestalterische Konglomerat aus Jugendzeitschrift, Musikmagazin und selbstgebastelter Schülerzeitung verwirren auf ganzer Linie und versprechen ein Leseerlebnis der anstrengenden Art. Entweder man gibt sofort auf oder bereitet sich auf den Kampf durch diesen typografischen Overkill vor.
Letzteres scheint mir das Sinnvollste zu sein, zumal Kampf hier das Stichwort ist. Spätestens mit dieser Erkenntnis erwacht das Interesse, denn was die beiden "Hooligans gegen Satzbau" hier auf die Matte knallen, verdient allen Respekt! Das vermeintlich heillose Durcheinander lichtet sich spätestens im fünfseitigen Inhaltsverzeichnis.
Die digitale Welt explodiert munter vor sich hin. Man könnte meinen, dass sie ins Taumeln geraten ist und allmählich in "rechte" Bahnen abdriftet. Dass hier gewisse Mechanismen dahinterstehen, scheint klar zu sein, aber wie funktionieren jene und vor allem von wem gesteuert?
Autorin und Autor, Erziehungswissenschaftlerin und Kommunikationsdesigner, geben hier Antworten im großen Stil. Das Aufdecken der unterschiedlichsten rechtsradikalen Strukturen steht dabei im Vordergrund, wobei der Rezensent gar nicht weiß, wo er damit anfangen sollte. Vielleicht bei jener genialen Rechenaufgabe, die auf den Seiten 40 und 41 verdeutlicht, was Nichtwähler anrichten, ohne sich dessen womöglich bewusst zu sein.
Im Vergleich zu Hass und Hetze im Internet scheint dies jedoch noch das kleinere Problem zu sein. Doch was ist zu tun gegen all die rechten Viren, Wucherungen und Metastasen? Zu allem Überfluss sind diese ja nicht das einzige Problem im Netz. Da wären beispielsweise noch Fakenews im Allgemeinen und die erschreckende Vielfalt der Verschwörungsmythen im Besonderen zu nennen. Oder die oft kleingeistigen Fronten aus Gegner:innen der Diversität und geschlechtergerechten Sprache.
Apropos Welten, denn allein die Vielfalt der Anglizismen sprengt inzwischen so manche Auffassungsgabe. Andererseits bilden sie meist in nur einem einzigen Wort Sachverhalte und Bedeutungen ab, die in deutscher Sprache ungleich mehr benötigen würden. "Socialbots" zum Beispiel oder "Silencing", "Flaming", "Catcalling", Mansplaining" oder "Victimblaming". Was ist das? Etwas Schlimmes? Und wenn ja, wie geht man damit um und was kann man dagegen tun?
Auch hier gibts Antworten, doch "Aktivistmuss" hat, ganz dem Sinn dieser neuen Wortkreation gemäß, weitaus mehr zu bieten. Grundsätzlich werden alle Aussagen mit Quellenangaben belegt. Dann wären da noch reichlich Querverlinkungen ins Netz, praktische Anleitungen zur Gegenwehr im Netz und im privaten Kreis, oder am Ende eine Klärung der "Begrifflichkeiten". Ach ja, und eine Playlist gibt es noch obendrauf!
Fazit: Ein 365-Seiten-Bollwerk gegen Desinformation. Ein "Muss" mit ebenso unkonventionellem wie crossmedialem Ansatz. Politische Bildung auf neuem Niveau. Das letzte Wort sollen aber Autorin und Autor haben:
"Für mehr Herz, Hirn und Verstand."
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