Adler. Weibliche Kriminalpolizei, Berlin Verdunklung 1940
von Stephan Weichert
298 Seiten © edition krimi, Hamburg 2022 www.edition-krimi.de ISBN 978-3-948972-87-5
Zuerst befand sich der Rezensent auf der falschen Fährte bzw. auf gar keiner, denn der Titel wirkte erst einmal abschreckend. Zudem: "Weibliche Kriminalpolizei" ..., was soll denn das bitte schön sein? Erst ein genaueres Studium der näheren Umstände schaffte Klarheit, denn jene war tatsächlich ein Organisationszweig der Polizei von 1923 bis zur Auflösung in den 1970er Jahren.
Kriminalassistentin Luise Adler spielt eine tragende Rolle in diesem Zuständigkeitsbereich der Berliner Polizei im Jahr 1940. Während des zweiten Weltkriegs herrscht in der Stadt die Dunkelheit. Dank der entsprechenden Verordnung auch in den S-Bahnen, die die Frauen auf dem Weg von und zur Arbeit nutzen. Deren Männer sind im Krieg und die Bahnen zu später Stunde nur spärlich besetzt.
Ein Frauenmörder nutzt die Gelegenheit und schlägt scheinbar wahllos zu. Die zuständigen Behörden stehen vor einem Rätsel, welches durch erbitterte Machtkämpfe in den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen noch erschwert wird. Die heftigsten Auseinandersetzungen und Revierkämpfe werden zwischen der Kriminalpolizei "Kripo" und der Sicherheitspolizei "Sipo" ausgetragen. Der klassischen Verbrechensaufklärung steht die nationalsozialistisch geprägte Suche nach Staatsfeinden gegenüber.
Der Krieg und die unsäglichen politischen Auswüchse und Absurditäten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bilden den Hintergrund zu diesem Roman, der in seiner Intensität oft die Grenzen des Erträglichen überschreitet. Zu allem Überfluss ist der Fall selbst, völlig unerwartet, keinesfalls Fiktion, wie im Internet leicht herauszufinden ist.
Den Berliner S-Bahn-Mörder gab es wirklich. Über dreißig "Notzuchtverbrechen" wurden Paul Ogorzow (im Roman "Paul Golzow") zur Last gelegt, darunter acht Morde und sechs versuchte Morde. Auch die im Buch beschriebenen Schauplätze, Rummelsburg, das Laubengelände oder Karlshorst, sind authentisch.
Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion in "Adler. Weibliche Kriminalpolizei, Berlin. Verdunklung 1940" sind also etwas verschwommen. Ein großer Teil der Ermittlungen, ja selbst ein extrem unkonventioneller Fahndungseinsatz der Polizei, bis zu einer Randnotiz, jenen Metzger betreffend, der ein Schild mit einer Warnung aufhängte, kann im Internet nachgelesen werden. Weshalb auf diese Bezüge zu realen Begebenheiten weder in einem Vor- noch in einem Nachwort eingegangen wird, erscheint etwas seltsam.
Der fiktive Teil kommt jedoch nicht zu kurz, auch wenn sich hier wieder ganz andere Abgründe auftun. Der Autor webt hier Themen wie die der Euthanasie, Homosexualität oder dem Rassenhass, und hiervon betroffene oder darin verwickelte Menschen, ein. Leider sorgen diese Kapitel, im oft nahtlosen Übergang und dem damit verbundenen Wechsel der Schauplätze, für Verwirrung und einige unübersichtliche Momente.
Angesichts des geschichtlichen Hintergrunds und den ganz und gar nicht frei erfundenen Verbrechen, fällt es fast etwas schwer, den Roman dennoch als gut zu bewerten.
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