Literatur

Ab vom Schuss
Reisen in die internationale Provinz


von Andrea Diener


206 Seiten
© 2017 by Rowohlt Verlag GmbH
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-499-63172-6



Ja, so kann's gehen. Irgendwann im Stapel der ungelesenen Bücher verschwunden, also "ab vom Schuss" sozusagen, wollte der Rezensent doch noch einmal schauen, woran es denn gelegen hat. Denn in jenem Stapel landen ausschließlich Werke, mit denen er wenig oder gar nichts anfangen konnte.

Leider wird es ein Rätsel bleiben, denn die Lektüre stellte sich umgehend als ebenso erfrischend wie erbaulich dar. Unüblich gestaltete sich aber der Wiedereinstieg, nämlich mit "Frau Muzungu im Ethnofummel" in der Mitte des Buches. Man ist mit Andrea Diener, fern der Heimat, in Burundi unterwegs. Während ihr Gepäck wohl erst in zwei Tagen nachkommen würde, geht es landeinwärts im "ärmsten Zipfel eines der ärmsten Länder der Welt".

Irgendwie kommt man gerade so zurecht und lässt gar sein Tagwerk ruhen, denn ein "Muzungu" ("Weißer") ist schon etwas besonderes. Zudem könnte er/sie Plastikflaschen dabei haben, womit Kinder dort gerne spielen. Diese springen in einfachster Kleidung herum, suchen in schlammigen Böden nach Insekten und die Autorin bemerkt im gleichen Moment, wie "wahnsinnig, unglaublich schön es hier ist". Mit dieser Ambivalenz Schwierigkeiten zu haben, gibt sie gerne zu.

Dieser Bericht, der wie die meisten in diesem Buch im Reiseblatt der F.A.Z. erschienen ist, war dann dafür verantwortlich, das Buch doch noch von vorne zu beginnen. Bereits 2017 erschienen, will es sicher kein Reiseführer sein, ist aber dennoch einer. Zum Glück aber ein solcher, der ausnahmslos ohne die üblichen Massentourismusziele auskommt. Buden mit billigem Souvenirschund gibt es schließlich weltweit, auch dort, wo man es nicht unbedingt erwartet. Und dort, wo es gar nichts mehr gibt, ist es mitunter am schönsten.

Die Auswahl der Ziele ist ebenso unkonventionell wie die Art und Weise, wie Andrea Diener Land und Leute beschreibt. Am Beispiel Manzhouli in der inneren Mongolei hört sich das so an:

"Diese Stadt verschiebt einem innerhalb kürzester Zeit sämtliche Maßstäbe, und als Erstes kommt die Sensibilität für architektonische Angemessenheit abhanden."

Leserinnen und Leser staunen über Japans "heilige Schlappenordnung", angebrütete Eier, die in einem Dorf am Mekong als Spezialität angeboten werden, die landschaftliche Idylle im Westharz, dem "Wendeverlierer", oder einer seltsamen Sportart in der Schweiz, die Hundertausende anlockt, hierzulande aber unbekannt ist.

Es gibt Kontraste zu bewältigen, die von der Schweiz nach Thüringen, von China in den westlichen Harz, oder von Brandenburg bis in die innere Mongolei reichen! Das sind noch echte (Lese-)Abenteuer! Ebenso witzig wie geistreich beschrieben und kommentiert. Ein Juwel der Reiseliteratur und vielleicht schon jetzt ein Geheimtipp. Man möchte sofort die Koffer packen. Doch wohin zuerst? Vielleicht erst einmal im eigenen Land beginnen. Also auf ins "1. Deutsche Kloßpressenmuseum" nach Großbreitenbach in Thüringen vielleicht?

 

Thomas Lawall - Februar 2023

 

 

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