In Stein gemeißelt... Teil II
Quälende Fragen, heimliche Sehnsüchte, stetig wiederkehrender Ärger, brennende Wut, unnennbare Traurigkeit, diffuse Angst: jeder Mensch kennt solche Gefühle, sie gehören zum Mensch-sein genau wie die Fähigkeit, sie zu benennen und darüber zu sprechen. Aber selbst wenn das gelingt: manchmal bringt es rein gar nichts! Jemand anderem davon zu erzählen macht manchmal alles noch schwieriger, zuweilen verstärken sich die Gefühle noch weiter oder das Gegenüber versteht nicht, was gemeint ist und kann nicht mitfühlen... Und schließlich gibt es auch Gedanken, von denen man ohnehin NIEMANDEM erzählen kann. Was kann man also tun, um all dies aus sich heraus und in die Welt zu bringen? Um frei zu werden für neues und sich zu entlasten? Man kann es IN STEIN MEISSELN. (s. Bild rechts)
Steine nehmen demjenigen, der sich ihnen anvertraut, alles ab. Was sie auf sich nehmen, geht nie verloren, was tröstlich sein kann, denn möglicherweise ist man zu einem späteren Lebenszeitpunkt stark genug, um sich den alten Gedanken oder Gefühlen wieder zuzuwenden und sich dann weiter zu entwickeln.
Mit diesen Gedanken zur Arbeit am Stein gab ich mir selbst "die Säule" - eine Art Baukastensystem aus gesägten Steinquadern, die einfach (wie Lego) aufeinander gestapelt werden können, Würfel für Würfel. (Bild links)
Die Säule - das sind eigentlich viele "worry stones", d.h. Steine, in die ich alles hineinschlagen kann, was ich nicht IN MIR haben will. Dazu ist ein äußerst wirksamer Prozess nötig: ich muss für viele Gefühle und Gedanken ein passendes Symbol finden, intuitiv oft, aber manchmal auch mühsam herbeigesucht, und dies wird in den Stein gehauen. Alle Würfel können über und über bedeckt werden, sind sie voll, kommen sie in eine Ecke des Gartens und trotzen der Umwelt. Es wird Bilder geben, die ich in 20 Jahren vom Moos befreien muss, um sie noch einmal wieder zu sehen. Manche werden wahrscheinlich stets wie neu aussehen, weil ich sie häufig ansehe.
In der Bildsprache und der Anordnung habe ich mich grob an den romanischen Kapitellen orientiert, das sind die Säulenabschlüsse aus den Kirchen der Romanik, die durch eine einfache, fast primitive Bildsprache faszinieren. Für die Gläubigen dieser Zeit, die zumeist weder lesen noch schreiben konnten, waren sie lesbar wie Bücher, denn die Menschen kannten die Symbolik und konnten so die Bibelgeschichten verfolgen, während der Priester eine Messe auf Latein abhielt, die sie ja ebenfalls nicht verstanden. Bei den ersten Würfeln benötigte ich hierzu noch technische Unterstützung, denn mir war oft nicht klar, wie so ein Bild aufgebaut sein muss, damit es wirkt. (s. Bild rechts)
Die Arbeit an sich erfolgt immer hoch konzentriert, es hat sich mir bewährt, ein Symbol immer komplett und ohne nennenswerte Pause zu arbeiten, damit es authentisch bleibt und ich nicht ins Dekorative abrutsche (was dennoch oft genug passiert)... (Bild links)
Einige der Symbole beziehen sich auf meine eigene Innenwelt, andere schlage ich in den Stein, wenn ich an der Welt AUSSEN zu zweifeln beginne, so z.B. habe ich mich mit dem Fall eines Pferderippers in unserer Gegend lange beschäftigt, es schien mir damals ein Abbild der fehlgeleiteten Menschheit zu sein.
Ich finde es wichtig, zu betonen, dass man für diese Art von "künstlerischer" Tätigkeit im Grunde kein Fachwissen benötigt, es geht um innere Bilder, die auch ohne jede Technik in einen ausreichend weichen Stein geschlagen werden können. Was man braucht, sind lediglich einige vernünftige Werkzeuge und etwas Mut, in der äußeren Welt einen bleibenden "Eindruck" zu hinterlassen. Diese Arbeit ist anders als Malen, anders als Plastizieren mit Ton oder ähnlichem, denn der Stein selbst hat einen Charakter, manchmal ist er hilfreich, manchmal verweigert er sich - selbst dann, wenn man ihn so anonym zurechtgesägt hat, wie ich das mit meinen Quadern tat.
Die heilsame Wirkung dieser Arbeit hat sich offenbar auch anderen Menschen schon erschlossen, eine kleine Begebenheit aus der Sommerakademie möchte ich dem geneigten Leser natürlich nicht vorenthalten: Wie ich eines Tages so in der sengenden Sonne stand und vor mich hin pickelte, da kam eine ältere Dame vorbei, die mir einige Zeit aufmerksam zusah. Sie schien ganz angetan von meiner Arbeit und ging mehrfach im Kreis um mich herum. Irgendwann hielt sie inne, sah mich an, lächelte und sagte: "Jaja, ich hab' auch mal so 'ne Therapie gemacht..." - ging vondannen und ließ mich so zurück. Ob dies an meiner behandlungsbedürftigen Ausstrahlung lag oder ob ich nochmal über die Art der Schutzkleidung nachdenken sollte, das überlasse ich lieber denen, die etwas davon verstehen.
Anja-Maria, Oktober 2008 Fotos: © Anja-Maria
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