Kunst

Kehrlichter und lange Besen mit kurzem Sinn

Objekte und Installationen von Steffen Lawall

 

"Kehr-Licht"-Präsentation auf dem Mainzer Domplatz

In Haushalt und Industrie dienen Besen und Bürsten zu Zwecken der Reinigung. Das war schon seit Besengedenken so und nicht anders. Die borstigen Gerätschaften ähneln sich in der Herstellung auf grundsätzliche Art und Weise, wenn auch der landläufige Besen - im Gegensatz zur gemeinen Bürste - die im allgemeinen ein Stiel-loses Dasein fristet, generell durch eine wesentlich längere Besteckung auffällt.

In der Vergangenheit wurden für die Fertigung ausschließlich Naturmaterialien verwendet. Holz, Horn und Kautschuk für den Besen- bzw. Bürstenkörper und ein breitgefächertes Angebot von Agaven- und Bromelia-Fasern, über Reiswurzeln, Espartogras und Kokosfasern bis zu tierischen Deck- und Grannenhaaren für die Besteckung. Hierbei fallen durchaus unterschiedliche Herstellungsarten auf, denn neben der "gewöhnlich eingezogenen Arbeit" (ganz durchgebohrte Löcher) gibt es u.a. noch die "Pecharbeit" (Löcher nur zu 2/3 tief gebohrt) und die durch eine Längsbohrung miteinender verbundene "verdeckt eingezogene Arbeit" (Löcher nur zu 3/5 tief gebohrt).
Die Besen sind gesattelt
Mit der Erfindung von allerlei elektrischem Gerät verloren die filigranen Meisterwerke jedoch immer mehr an Bedeutung. Zuerst der unsägliche Teppichkehrer, jedoch spätestens der Staubsauger machte dem Besen im Haushalt den Garaus. Auch die führende Rolle im Außenbereich wurde durch immer größer werdende Kehrmaschinen verdrängt. Dort wo gar ein Laubsauger eingesetzt wird, möchte ich sogar von einem regelrechten Verfall der Besenkultur sprechen! Niemand kehrt sich mehr um was. Alles wird bloß noch weggesaugt und ordinär auf den Müll geblasen.
Kehrwoche ade! Es kann nicht mehr lange dauern, bis das erste selbstabsaugende Treppenhaus erfunden wird! Was wird dann bloß aus den kleinen, goldigen Wanderschildchen...?
Kehr-Licht
Aber was hat es für einen Zweck, der Vergangenheit nachzutrauern? Richtig. Keinen! Es gibt nur eine Lösung: Denkmäler setzen! Und die gibt es bereits!!! Gesehen wurden sie bei diversen Ausstellungen im Stuttgarter Raum. Der Reutlinger Objekt-Künstler Steffen Lawall hat den Besen zu einem Hauptbezug in seinem künstlerischen Schaffen erkoren, aber er stellt ihn keineswegs unter den Scheffel, sondern setzt ihn sozusagen wieder ins rechte Licht. Auf eindrucksvolle Art und Weise dokumentiert er dies in seiner viel beachteten Arbeit "Kehr-Licht".
Fünf Berliner auf dem Holzweg
Auch seine anderen Arbeiten, bei welchen mitunter ein besentlicher Bezug zu fehlen scheint, können überzeugen. Auch hier sind es wieder die kleinen Dinge aus dem täglichen Leben, die in einem völlig anderen Zusammenhang plötzlich an Bedeutung gewinnen.
Die ungeheuerliche Bandbreite seiner Arbeiten bereitet auch hier dem Betrachter fast paradoxe Einsichten. Beispiele, wie sie gegensätzlicher nicht sein können, mögen die fünf Stahlstäbe aus der Berliner Mauer sein, die auf Holz montiert "Fünf Berliner auf dem Holzweg" darstellen, sowie ein rostiger Griff auf dem Dachbalkenversatz, der den "B-Griff" einerseits in Bildsprache umsetzt aber gleichzeitig abstrahiert...
B-Griff
Interessant und keineswegs unbesentlich sind die ebenso witzigen wie geistreichen
Denotationen des Künstlers. So verwendet er für die Betitelung seiner Arbeiten fast ebenso viel Zeit, wie für die Herstellung derselben! Titel und Objekt haben eine gemeinsame Seele und sind somit untrennbar miteinander verwoben. Weder Text noch Objekt können für sich alleine stehen! Hierbei stehen die eigenwilligen Wortkreationen im diametralen Gegensatz zu den ursprünglichen Materialien und dennoch bilden sie eine Einheit. Die intelligente Spielerei mit Sprache ist nicht bloße Wortverdreherei, sondern öffnet die Sinne für eine weitaus größere Auffassung der Dinge!

Doch es gibt auch Nachdenkliches und gar Wehmütiges. Zwei eiserne Objekte bringen die schlichte Wahrheit an den Tag: "Alte Liebe rostet doch!"
Alte Liebe rostet doch
Steffen Lawall schafft mit scheinbar einfachen Mitteln eigentlich das Unmögliche. Kunst ist keine in weiter Ferne liegende, unerreichbare Phantasiewelt! Sie ist allgegenwärtig aber wir sehen sie nicht. Kunst ist (auch) im Alltag - Alltag ist Kunst. Mein Bruder hilft uns zu sehen, dass diese mitunter gar nicht so weit entfernt ist, wie wir uns vorstellen mögen. Warum also in der Ferne kehren, wenn der Besen liegt so nah?! Ein Blick ins Spülbecken oder gar in den Abfalleimer kann ungeahnte Welten eröffnen...

Kurzum: Die Welt kann untergehen. Der Besen bleibt. Für immer! Denn mit welchem Gerät wird wohl nach dem nächsten großen Knall wohl wieder groß Reine gemacht werden...


Weitere Objekte sind in der Galerie zu besichtigen ...

 

Thomas Lawall - September 2003 (Überarbeitet im November 2004)
Fotos: Maria Diemer

 

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