Literatur

Zur Not kann die Kiste auch segeln

von Cornelius Maschmann


336 Seiten
© Piper Verlag GmbH, München 2013
www.piper.de
ISBN 978-3-492-30347-7



Plötzlich war sie da, die Gewitterwolke. 20 Minuten nach dem Start - die Maschine befindet sich noch im Steigflug - kündigen sich Probleme an. Gewitterzonen weicht man grundsätzlich aus, "ein 230 Tonnen schweres Flugzeug mutiert hier zu einem Wattebausch im Wind". Gefährlich ist nicht der Blitzschlag, sondern unberechenbare Auf- und Abwinde, die das Flugzeug wie einen Ball durch die Gegend katapultieren können.  

Co-Pilot Maschmann will den Kurs korrigieren, um in respektvollem Abstand die Wolkenformationen zu umfliegen, aber sein Chef ist anderer Meinung. Der Umweg und ein größeres Ausweichmanöver wären unnötig. Cornelius Maschmann kommt nicht mehr dazu, Protest zu äußern, denn plötzlich wird die Maschine "wie von einem Vorschlaghammer ins Gesicht getroffen". Der bei einem Reiseflug übliche Anstellwinkel von zwei Grad änderte sich schlagartig auf 25 Grad und die seitliche Schräglage gar auf 60 Grad ...

Ärger mit der Hydraulik ist auch nicht zu verachten. So geschehen auf einem Flug von Puerto Plata (Dominikanische Republik) nach Düsseldorf. Kurz nach dem Start, beim Einfahren des Fahrwerks, leuchtet eine Warnlampe, die nichts Gutes verheißt. Ein Atlantikflug kann nicht angetreten werden, falls der leiseste Verdacht besteht, das Fahrwerk könnte nicht komplett eingefahren sein. Eine Zwischenlandung in Miami muss deshalb entschieden werden.

Nach einer Zwangsübernachtung wird der übliche Testflug absolviert... und wieder leuchten die Warnlampen. Nun muss das Flugzeug aufgebockt werden, was nur in Atlanta möglich ist, und die Lage nicht gerade vereinfacht. Jetzt müssen die Passagiere endgültig mit einer anderen Maschine nach Hause geflogen werden, doch für Cornelius Maschmann ist die Sache noch lange nicht erledigt. Es geht nach Atlanta - ohne Erlaubnis, das Fahrwerk einzufahren. Nach einer weiteren Übernachtung scheint die Maschine, nach dem Austausch mehrerer Hydraulikleitungen, nun endgültig in Ordnung zu sein. Es kann also endlich in Richtung Düsseldorf losgehen, doch bei der Vorbereitung zur Landung zeigt sich ein ganz anderes Bild ...

Wenn man nach der Lektüre dieses unterhaltsamen Buches in den Himmel sieht und ein paar Kondensstreifen oder sogar das verursachende Flugzeug wahrnimmt, geschieht dies anders als jemals zuvor! Ob man nun schon einmal mitgeflogen ist oder nicht, ist dabei völlig gleichgültig. Irgendwie hat jeder seine Vorstellungen vom Fliegen, und diese werden grundlegend verändert bzw. erweitert.

Anfangs hatte ich den Klappentext falsch verstanden, denn ich erwartete eine Sammlung von in sich abgeschlossenen Kurzgeschichten, die in zwangloser Reihenfolge Episoden aus dem Alltag der fliegenden Zunft erzählen. Die angenehme Überraschung bestand darin, dass es sich bei "Zur Not kann die Kiste auch segeln" um weitaus mehr handelt. Tatsächlich lässt Cornelius Maschmann weitaus größere Einblicke in seinen Alltag zu als erwartet. Auch seine persönlichen Befindlichkeiten spart er nicht aus, sagar wenn es sich um größere Lebenskrisen handelt.

Als Laie bekommt man eine Ahnung davon, was es bedeutet, zu wahnwitzigen Zeiten und an jedem beliebigen Tag der Woche Bereitschaftsdienste zu schieben, die einen von einem Ende zum anderen Ende des Planeten führen können und dies quer durch alle Zeitzonen. Ein geordnetes Privatleben scheint so kaum möglich zu sein, doch auch für dieses Problem hat der Autor einen überzeugenden Lösungsansatz gefunden ... auch wenn es ein langer Weg war!

Überhaupt sind Lösungen in Verbindung mit klaren und schnellen Entscheidungen in diesem Beruf unumgänglich. Weit ist der Weg vom Co-Piloten zum Kapitän. Cornelius Maschmann erzählt von diesem steinigen Weg, was sich für den Leser ungeheuer interessant darstellt. Aber auch Kleinigkeiten weiß er ins Rampenlicht zu stellen, beispielsweise warum es keine Verbindung mehr vom Passagierraum zum Frachtraum gibt, oder weshalb Gepäck und Passagierlisten vor dem Start zwingend abgeglichen werden müssen.

Auch Fachausdrücke wie "Purserette", "Rampagent", "Gearpins", oder "Dispatcher" werden erklärt. Man erfährt auch gerne, was es mit "Saftschubsen", Trolleydolleys", Luftkellnern", Streifenhörnchen und Pommesträgern" auf sich hat, und wie und warum es langweilig sein kann, permanent in die Karibik fliegen zu müssen, wo man doch sowieso schon "mit jeder Muschel per Du ist".

Ein Schwenk auf grandiose Landschaftsbeschreibungen fehlt ebenfalls nicht und der Kontakt zu Land und Leuten ist dem Autor auch die eine oder andere Schilderung wert. Fliegen tut er sowieso nicht gerne alleine, und auch wenn sich Umgang und Kontakte zu den Passagieren manchmal schwierig gestalten, liebt er die zwischenmenschlichen Herausforderungen. Frachtpiloten wären da ganz anders gestrickt, denn "Fracht motzt nicht, und Fracht kotzt nicht".

Es macht Spaß, Flugkapitän Cornelius Maschmann ein Stück seines Lebens begleiten zu dürfen und somit möchte ich ihn das Schlusswort, als guten Rat für alle potentiellen Leser gedacht, selbst sprechen lassen: "Vergessen Sie bitte nicht, sich anzuschnallen: es könnte turbulent werden!"

 

Thomas Lawall - Juli 2013

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum